Eltern-Lan
Verfasst: 7. April 2009, 15:59
Lehrer und Eltern sind besorgt. Sie haben Angst um ihre Kinder, vor dieser Gewalt am Bildschirm – und den Geschichten über Amokläufer und deren Vorlieben für das Ballerspiel Counterstrike. Trotzdem bewaffnen sich nun Pädagogen und Erziehungsberechtigte und gehen selbst auf Terroristenjagd am Computer.
Frau Kunze hat ein Problem. Sie steht in einem verwinkelten Hof, auf sandigem Boden, links und rechts Mauern, am Horizont ein kleiner Streifen blauer Himmel. Vor ihr: ein Terrorist. Sie müsste schießen, vermutlich. Sie hat auch jede Menge Waffen.
Aber wer genau ist sie dort, auf dem leicht flackernden Bildschirm: Der mit dem Helm, der mit dem Kopftuch? Und wo ist die Bombe? Frau Kunze seufzt ein bisschen und lehnt sich zurück. Da knallt es laut. Sie war der mit dem Helm. Und der ist jetzt tot. Oh, sagt Frau Kunze. Macht nichts, sagt der Mann im roten T-Shirt hinter ihr. Hier hat heute jeder viele Leben.
Die werden auch gebraucht. Denn die meisten, die dicht nebeneinander vor den Computern sitzen, sind nicht sehr geübt im Klicken, Steuern, Feuern. Für so gut wie alle ist es die erste „Lan-Party“ ihres Lebens. Und sie sind deutlich älter als die meist jugendlichen Spieler, die sich normalerweise zu diesen Partys zusammenfinden, ihre Rechner vernetzen (LAN: Local Area Network) um tage-, manchmal nächtelang auf den Bildschirmen gegeneinander anzutreten.
„Eltern-Lan“ heißt die Veranstaltung, die in einigen deutschen Städten veranstaltet wird. An diesem Nachmittag in Berlin sind fast dreißig Eltern und Lehrer gekommen. Mehr als sonst.
Es geht etwas mehr um Pädagogik als um Party, die meisten sind aus ähnlichen, nahe liegenden Gründen hier: Sie wollen ihre Kinder verstehen, sie wollen die Spiele selber kennenlernen, sie wollen nachfühlen, was deren Faszination ausmacht. Und natürlich gibt es da die Sorgen. Gerade vor „diesem einen Ballerspiel“, über das zuletzt so viel geredet würde. Wüsste man halt nicht, was das so anrichten kann, sagt ein Vater.
Also lieber selber ausprobieren. Es geht vergleichsweise harmlos los, mit Autorennen. Eigentlich, haben die Eltern da schon gelernt, sind das auch keine Spiele, denn die heißen hier elektronischer Sport (eSport). Und bei dem geht es auch, das erklären die eSport-Experten geduldig, um Lernen, Geschick, Strategie. Konzentrationsfähigkeit, Durchhaltevermögen. Nicht nur Ballern.
Aber ein bisschen warten auch die Eltern heute darauf. Irgendwann ist es soweit, auf dem Monitor leuchtet auf: „Counterstrike“. Polizisten müssen Terroristen vom Bombenlegen abhalten, so der Inhalt, ungefähr. Kurz darauf die erste Anweisung: Wir treffen uns friedlich am Bombenplatz. „Friedlich“ leuchtet rot. Aber es dauert nicht lange, da fallen Schüsse, rattern Maschinengewehre.
Mit der stillen Konzentration ist es vorbei, Ratlosigkeit bei den Eltern. „Das heißt, die müssen alle erwischt werden?“ „Ist das ein Kollege oder ein Terrorist?“ „Jetzt? Schießen?“ „Da sind ja überall Tote.“ „Ich sehe Blutspuren! Überall!“
Die betreuenden Spieleexperten wissen um die Kritik an einigen Spielen, die zu den Standards auf den Lan-Party gehören, um die Kontroversen, die sich um das Spiel „Counterstrike“ drehen, dass zuverlässig auftaucht, wenn von Gewalt in Computerspielen die Rede ist.
Arne Busse von der Bundeszentrale für politische Bildung gehört zum Veranstalterteam. Er sagt, dass es wichtig wäre, Berührungsängste abzubauen. Und dass es durchaus einen Graben zwischen den Generationen gebe: Jugendliche hätte zwar heute, das wüssten sie aus Studien, ein gutes Verhältnis zu ihren Eltern. Aber tatsächlich kommuniziert würde wenig.
Zum Beispiel über den Inhalt von Computerspielen. Meistens geht es eher darum, die erlaubte Zeit vor dem Rechner auszuhandeln. Das ist auch bei Michaela Maasberg, die gleich in der ersten Reihe angespannt auf ihren Bildschirm starrt, so. Es sei ein ständiges Verhandeln mit ihren sechs Kindern, sagt sie. Die fanden es dann auch ganz gut, dass die Mutter spielen lernt. Es würde ihr schon gefallen, sagten sie voraus.
Sie hatten Unrecht. „Ich finde Counterstrike eklig. Eigentlich hat sich meine Sorge bestätigt“, sagt sie. Aber zwei Reihen weiter ist inzwischen auch Lachen zu hören.
„Sind das jetzt die Feinde?“ Helfer: „Nein, das sind Geiseln.“ „Geiseln?“ „Ja, Si
e sind si s doch
die Bösen, Sie halten die fest.“ „Wir sind die Bösen? Auch das noch.“
Es gibt Studien, die warnen vor den Gefahren der Spiele: Vor Empathieverlust, dem Verlust des Mitgefühls, und vor steigendem Aggressionspotenzial. Aber meistens gibt es auch Gegenstudien.
Das verunsichert auch die Eltern, die heute mitspielen. Sie teilen am Ende vor allem diese eine Erkenntnis: Es ist nicht wirklich einfach, das Spiel in ein paar Stunden zu lernen. Einige Eltern und Lehrer verlassen den Raum beruhigter. Es sei doch eine relativ abstrakte Sache, sagt einer.
Andere wiederum sagen, sie hätten sich schlicht gelangweilt. Und manche sind froh, es hinter sich zu haben. Frau Kunze, deren Söhne nur sehr kontrolliert an den Computer dürfen, sagt, ein bisschen stupide sei das Spiel schon. Ob es eine Gefahr ist? „Ich weiß es nicht wirklich. Das kommt wohl auf die Kinder an“. Wenn die wüssten, wer sie sind, und eben nicht der auf dem Bildschirm – dann könne das Spiel wohl keinen so großen Schaden anrichten.
Quelle: http://www.welt.de/webwelt/article35062 ... orden.html
Frau Kunze hat ein Problem. Sie steht in einem verwinkelten Hof, auf sandigem Boden, links und rechts Mauern, am Horizont ein kleiner Streifen blauer Himmel. Vor ihr: ein Terrorist. Sie müsste schießen, vermutlich. Sie hat auch jede Menge Waffen.
Aber wer genau ist sie dort, auf dem leicht flackernden Bildschirm: Der mit dem Helm, der mit dem Kopftuch? Und wo ist die Bombe? Frau Kunze seufzt ein bisschen und lehnt sich zurück. Da knallt es laut. Sie war der mit dem Helm. Und der ist jetzt tot. Oh, sagt Frau Kunze. Macht nichts, sagt der Mann im roten T-Shirt hinter ihr. Hier hat heute jeder viele Leben.
Die werden auch gebraucht. Denn die meisten, die dicht nebeneinander vor den Computern sitzen, sind nicht sehr geübt im Klicken, Steuern, Feuern. Für so gut wie alle ist es die erste „Lan-Party“ ihres Lebens. Und sie sind deutlich älter als die meist jugendlichen Spieler, die sich normalerweise zu diesen Partys zusammenfinden, ihre Rechner vernetzen (LAN: Local Area Network) um tage-, manchmal nächtelang auf den Bildschirmen gegeneinander anzutreten.
„Eltern-Lan“ heißt die Veranstaltung, die in einigen deutschen Städten veranstaltet wird. An diesem Nachmittag in Berlin sind fast dreißig Eltern und Lehrer gekommen. Mehr als sonst.
Es geht etwas mehr um Pädagogik als um Party, die meisten sind aus ähnlichen, nahe liegenden Gründen hier: Sie wollen ihre Kinder verstehen, sie wollen die Spiele selber kennenlernen, sie wollen nachfühlen, was deren Faszination ausmacht. Und natürlich gibt es da die Sorgen. Gerade vor „diesem einen Ballerspiel“, über das zuletzt so viel geredet würde. Wüsste man halt nicht, was das so anrichten kann, sagt ein Vater.
Also lieber selber ausprobieren. Es geht vergleichsweise harmlos los, mit Autorennen. Eigentlich, haben die Eltern da schon gelernt, sind das auch keine Spiele, denn die heißen hier elektronischer Sport (eSport). Und bei dem geht es auch, das erklären die eSport-Experten geduldig, um Lernen, Geschick, Strategie. Konzentrationsfähigkeit, Durchhaltevermögen. Nicht nur Ballern.
Aber ein bisschen warten auch die Eltern heute darauf. Irgendwann ist es soweit, auf dem Monitor leuchtet auf: „Counterstrike“. Polizisten müssen Terroristen vom Bombenlegen abhalten, so der Inhalt, ungefähr. Kurz darauf die erste Anweisung: Wir treffen uns friedlich am Bombenplatz. „Friedlich“ leuchtet rot. Aber es dauert nicht lange, da fallen Schüsse, rattern Maschinengewehre.
Mit der stillen Konzentration ist es vorbei, Ratlosigkeit bei den Eltern. „Das heißt, die müssen alle erwischt werden?“ „Ist das ein Kollege oder ein Terrorist?“ „Jetzt? Schießen?“ „Da sind ja überall Tote.“ „Ich sehe Blutspuren! Überall!“
Die betreuenden Spieleexperten wissen um die Kritik an einigen Spielen, die zu den Standards auf den Lan-Party gehören, um die Kontroversen, die sich um das Spiel „Counterstrike“ drehen, dass zuverlässig auftaucht, wenn von Gewalt in Computerspielen die Rede ist.
Arne Busse von der Bundeszentrale für politische Bildung gehört zum Veranstalterteam. Er sagt, dass es wichtig wäre, Berührungsängste abzubauen. Und dass es durchaus einen Graben zwischen den Generationen gebe: Jugendliche hätte zwar heute, das wüssten sie aus Studien, ein gutes Verhältnis zu ihren Eltern. Aber tatsächlich kommuniziert würde wenig.
Zum Beispiel über den Inhalt von Computerspielen. Meistens geht es eher darum, die erlaubte Zeit vor dem Rechner auszuhandeln. Das ist auch bei Michaela Maasberg, die gleich in der ersten Reihe angespannt auf ihren Bildschirm starrt, so. Es sei ein ständiges Verhandeln mit ihren sechs Kindern, sagt sie. Die fanden es dann auch ganz gut, dass die Mutter spielen lernt. Es würde ihr schon gefallen, sagten sie voraus.
Sie hatten Unrecht. „Ich finde Counterstrike eklig. Eigentlich hat sich meine Sorge bestätigt“, sagt sie. Aber zwei Reihen weiter ist inzwischen auch Lachen zu hören.
„Sind das jetzt die Feinde?“ Helfer: „Nein, das sind Geiseln.“ „Geiseln?“ „Ja, Si
e sind si s doch
die Bösen, Sie halten die fest.“ „Wir sind die Bösen? Auch das noch.“
Es gibt Studien, die warnen vor den Gefahren der Spiele: Vor Empathieverlust, dem Verlust des Mitgefühls, und vor steigendem Aggressionspotenzial. Aber meistens gibt es auch Gegenstudien.
Das verunsichert auch die Eltern, die heute mitspielen. Sie teilen am Ende vor allem diese eine Erkenntnis: Es ist nicht wirklich einfach, das Spiel in ein paar Stunden zu lernen. Einige Eltern und Lehrer verlassen den Raum beruhigter. Es sei doch eine relativ abstrakte Sache, sagt einer.
Andere wiederum sagen, sie hätten sich schlicht gelangweilt. Und manche sind froh, es hinter sich zu haben. Frau Kunze, deren Söhne nur sehr kontrolliert an den Computer dürfen, sagt, ein bisschen stupide sei das Spiel schon. Ob es eine Gefahr ist? „Ich weiß es nicht wirklich. Das kommt wohl auf die Kinder an“. Wenn die wüssten, wer sie sind, und eben nicht der auf dem Bildschirm – dann könne das Spiel wohl keinen so großen Schaden anrichten.
Quelle: http://www.welt.de/webwelt/article35062 ... orden.html